28 Oct VCW 2022
VCW-Jahrestagung 2022 – hier ging’s ums „Shoring“, aber eigentlich sprachen alle über Bioökonomie. Bild: VCW, GDCh, BASF; Willis Muganda
VCW-Jahreskonferenz 2022
Als Mitglied der GDCh und der Fachgruppe „Vereinigung für Chemie und Wirtschaft“ besuchte ich zum zweiten Mal die Jahreskonferenz, diesmal organisiert am 18. Oktober im Konferenzzentrum der BASF in Ludwigshafen.
Bisher habe ich vor zwei Jahren das Online-Format wahrgenommen.
Die Jahreskonferenzen widmen sich einen Tag lang einem aktuellen Thema. Vertreterinnen und Vertreter aus der chemischen Industrie und der Forschung halten Vorträge, die zu Diskussionen einladen.
Dieses Jahr ging es um „Bioökonomie“.
Obwohl, eigentlich nicht. Tatsächlich war die Bioökonomie gar nicht das offizielle Thema. Vielmehr waren die Vortragenden gebeten worden, über „die globale Neujustierung von Material und Wertflüssen“ zu sprechen. Dann sprachen jedoch alle über Bioökonomie. Die Bioökonomie war der rote Faden, der sich durch alle Vorträge zog.
Was ist Bioökonomie?
Alle sprechen über Bioökonomie, aber was bedeutet sie?
Den Begriff der Bioökonomie gibt seit den 1970er Jahren. Er wurde zunächst vor allem im akademischen Umfeld gebraucht. Die Bioökonomie war Motto des Wissenschaftsjahrs 2020.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung definiert Bioökonomie auf seiner Website „biooekonomie.de“ als „eine moderne und nachhaltige Form des Wirtschaftens […], die auf der effizienten Nutzung von biologischen Ressourcen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen bezieht“.
Wikipedia widmet einen umfangreichen Artikel der Bioökonomie. An erster Stelle nennt der Artikel in seiner Definition jedoch die „Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft“.
Seit einigen Jahren spielt der Begriff in der Wirtschaft eine immer größere Rolle. Damit beschreiben Unternehmen, dass sie diese Transformation aufnehmen wollen.
Im Wesentlichen steht Bioökonomie also für:
- Nachhaltigkeit
- Effizienz
- und Transformation der Wirtschaft.
Bioökonomie in der Praxis
Die 12 eingeladenen Vortragenden gaben nun einen interessanten Einblick in die Praxis. Aus der chemischen Industrie und der Forschung kamen einige bemerkenswerte Stichworte, was Bioökonomie noch bedeutet.
Notiert habe ich mir Folgendes: Mut, Sicherheit, Wertschöpfung. Drop-In-Produkte, Lokale Ressourcen, Markt, Wasserstoff, Glaube, Recycling, Neugier.
Mut
Mut und Innovation seien nicht nur die Ressourcen der Wissenschaftler, sondern entscheidend, um die Transformation der Chemie erfolgreich zu gestalten, meinte Dr. Carla Seidel, Senior Vice President in der Forschung Analytik, Materialphysik und Formulierung bei der BASF und Vorstandsmitglied GDCh. Sie sprach für die Dachorganisation der GDCh die Eingangsworte.
Sicherheit
Um Sicherheit ging es Dr. Peter Westerheide, Ökonom und Chefvolkswirt der BASF. Um im heutigen Umfeld bestehen zu können, müssten chemische Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten resilienter machen. Die „Shoring“-Schlagworte (Reshoring, Nearshoring, Friendshoring), die häufig als Lösung genannt werden, seien hier nicht richtig am Platz. Besser sei es, Technologien zu entwickeln, um Abhängigkeiten zu verringern – und durch Kooperation den Klimawandel zu bekämpfen.
Wertschöpfung
Wertschöpfung aus pflanzlichen Ressourcen in Deutschland spielt derzeit kaum eine Rolle, erklärte Dr. Dietmar Peter von der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR) des Bundesministeriums für Energie und Landwirtschaft. Noch nicht einmal Holz, das ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, wird als Rohstoff angemessen genutzt. Zu 90 Prozent geht es als Hackschnitzel in die Privathaushalte, den Rest vereinnahmt die Möbelindustrie.
Effiziente Industriepflanzen müssten erst noch gezüchtet werden. Aber das dauert, zumindest auf konventionellem Wege, beschreibt er ein tiefgreifendes Problem „Aus Züchterperspektive müsste Gentechnik, vor allem das Genome Editing, vermehrt eingesetzt werden.“ Allerdings: Politik (und Gesellschaft) haben nein gesagt: Genforschung findet in Übersee statt.
Drop-In-Produkte
An neuen Wertschöpfungsketten bauen große Konzerne, wie Dr. Richard Halidimann von der schweizerischen Clariant erläutert. Aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnt seine Firma nachhaltige Produkte, die bisherige Lösungen ersetzen. Drop-In-Produkte böten den Vorteil, dass nicht gleich die ganze Technologie ersetzt werden muss, ein Standpunkt, den auch andere Vortragende teilten.
Ein Treibstoff-Drop-In ist Biodiesel. Wie man ihn aus Frittenfett produzieren kann, darüber berichtet Dr. Joachim Dohm, Forschungsleiter im Bereich der Erneuerbaren von Neste. Den Transport mit Biodiesel aus Triglyceriden hat das finnische Unternehmen initiiert und mitaufgebaut. Nun sollen Polymere ins Produktportfolio hinzukommen, aber woher kommt der Rohstoff dafür? So viele Frittenbuden und Schlachthöfe gibt es gar nicht, um daraus eine Polymer- oder Feinchemie aufzubauen.
Lokale Ressourcen
Dass Holz vielleicht doch als Rohstoff für Chemikalien in Frage kommt, beschreibt Dr. Okko Ringena, Senior Manager Sustainability bei UPM Biochemicals. Sein Unternehmen baut auf dem Industriestandort in Leuna bis 2024 eine Bioraffinerie für biobasiertes Monoethylenglycol (MEG) aus nachhaltig erwirtschaftetem Holz. Wie die Fotos zeigten, ist der Standort auf einem guten Weg.
Holz benötigt Wälder, in Städten fällt Bioabfall an. Dr. Manfred Kirchner von der Organisation BioBall untersucht daher die Verwertung von Bioabfällen zur Herstellung von Basischemikalien. Nötig sei dafür aber immer Wasserstoff, sagt er. Habe man den, könne man zum Beispiel durch Gasfermentation aus vor Ort verfügbaren Quellen chemische Produkte erzeugen.
Markt
Damit Pilotanlagen zu Industrieanlagen werden, müssen vor allem im regionalen Umfeld viele Voraussetzungen stimmen. Welche das sind, wie man lenken kann und woran sich bereits tätige Unternehmen orientieren, darüber spricht Dr. Friedrich Gröteke vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Projektleiter im Bereich Bioökonomie. Eine internationale Bemessung der CO2-Emission, das Identifizieren von grünen Leitmärkten, die regionale Biomassenutzung, die Akzeptanz in der Region und das Aufbauen eines Kreislaufs einschließlich integrierter Technologien sind alles Stichpunkte, die für ein erfolgreiches Scale-Up zu beachten sind.
Wasserstoff
Woher kommt der Wasserstoff? Mit dieser Frage beschäftigt sich Sylvia Schattauer vom Fraunhofer IWES, dem Institut für Wasserstoff und Energiesysteme von Berlin-Brandenburg. Ohne Wasserstoff keine Dekarbonisierung der chemischen Industrie. Die Technik ist vorhanden, aber ausreichend Wasserstoff steht bislang nur als „grauer“, das heißt aus fossilen Rohstoffen gewonnener Wasserstoff zur Verfügung. Die Unsicherheit für den Ausbau der erneuerbaren Energien, um im großen Maßstab grünen Wasserstoff zu gewinnen, sind groß.
China hingegen baut den grünen Wasserstoff kräftig aus, erzählt Dr. Rolf Schmid von Bio4Business, Frankfurt. Der pensionierte Chemiker und Unternehmer beschreibt die chemiewirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Japan, beides sehr forschungsorientierte Länder seien. Für seine Offshore-Windenergieanlagen hat China beste naturgegebene Voraussetzungen, und so seien in naher Zukunft schon enorme Mengen eines preiswerten, grünen, aus Elektrolyseuren gewonnenen Wasserstoffs zu erwarten, der Japan mitversorgen könnte – und dessen Abhängigkeit vergrößere.
Glaube
Dass der feste Glaube an die Bioökonomie entscheidend sein muss, um in diesem Bereich unternehmerisch erfolgreich zu sein, diese Botschaft vertrat Dr. Reneé Manski, Miteigentümer von HOBUM Oleochemicals. Denn dass die CO2-Reduktion wichtig ist, weiß jeder. Dass „grün“ zumeist teurer ist, leider auch.
Die Lösung könne daher nur sein, biobasierte Produkte auf den Markt zu bringen, die bessere Eigenschaften als das konventionelle Erzeugnis haben. „Kein Kunde zahlt mehr, nur weil auf dem Produkt „biobasiert“ draufsteht“, ist Manskis Botschaft.
Recycling
Es komme nicht auf die biobasierten Rohstoffe an, sondern auf eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, meint hingegen Dr. Dirk Langhammer von Borealis. Denn auch die besten biobasierten Produkte werden am Ende verbrannt, was den CO2-Gehalt der Luft erhöht. Umgekehrt wandern Rezyklate fast immer in niederwertigere Produkte. Aus hochwertigem Kunststoff werden in der Regel Blumentöpfe und Parkbänke, eine Schande, hält man sich die Leistungsfähigkeit der Polymere vor Augen.
Chemisches Recycling ist hingegen energieaufwändig und damit teuer. Borealis sieht daher noch viel Potenzial im mechanischen Recycling. Die großen Hindernisse, die noch zu überwinden sind, lägen vor allem beim Trennen.
Neugier
Den Abschluss der Vortragsreihe macht Astrid Lastic von Merck, Darmstadt. Ihr Team entwickelt den Industriepark FLUXUM am Standort Germersheim, der rein bioökonomischen Unternehmen vorbehalten sein soll. Neugierig sein und sich vernetzen ist ihre Botschaft. Damit könne man die Schwierigkeiten überwinden.
Welche Bedeutung Neugier für Ihren Erfolg hatte, beschrieb auch Laura Stenzler, Absolventin der Universität Ulm, die zusammen mit Elena Fischer von der Universität Düsseldorf den Studienpreis für Wirtschaftschemie in Empfang nehmen durfte.